Emojisierung
Eine historische und semiotische Studie zu Emojis
Die historische Rekonstruktion veranschaulicht die Entwicklung von Zeichen aus der computervermittelten Kommunikation (CVK) und ermittelt potenzielle Vorgänger – sogenannte Prä-Emojis. Deren Nachzeichnung ermöglicht einen Überblick über die Entstehung der Zeichen und erläutert – falls vorhanden – die zugrunde liegenden Intentionen für das Begehren nach Prä-Emojis und die daraus resultierende Konzipierung solcher Zeichen. Die Arbeit zeigt, dass das Begehren nach Mitteln zur Kompensation fehlender parasprachlicher und nonverbaler Ausdrucksmittel in der Schriftlichkeit nicht erst mit dem Aufkommen der CVK entstand. Sie ermittelt Ansätze, die solche Defizite zu kompensieren versuchen, indem sie ähnliche Funktionen wie die Emojis übernehmen. Die dabei konzipierte Form der Zeichen scheint ein entscheidendes Kriterium für die Verbreitung des jeweiligen Zeichensystems zu sein. Aus Perspektive der historischen Rekonstruktion kann die These aufgestellt werden, dass in der Entwicklung von Emojis die Form zum Inhalt wird. Um dem Zusammenhang von Form und Inhalt nachzugehen, dient die für die Analyse initiierte Fallstudie Textmoji. Sie zeigt, was der User mittels Emojis vermitteln möchte und erläutert Zeichenbedeutungen, die aufgrund einer Rekonstruktion – im Sinne einer Interpretation durch eine außenstehende Person – nicht erschließbar wären. Indem sie die Intentionen des Senders bei seiner Verwendung von Emojis erfahrbar und im entstehenden Zeichenprozess mit semiotischen Mitteln auch untersuchbar macht, bildet die Fallstudie einen Mehrwert. Sie verdeutlicht, dass es möglich ist, sich mit Emojis präzise auszudrücken, aber auch vage zu bleiben. Emojis bieten ein erweitertes Ausdrucksrepertoire, das jenes der schriftlichen Sprache übersteigt. Solche Möglichkeiten liegen in der bildlichen Konstitution der Emojis begründet. Diese kann Auswirkungen auf die Interpretation der Zeichen haben. Die semiotische Analyse des Zeichenprozesses zeigt, dass Emojis weitaus mehr als ikonische Funktionen im Sinne von Abbildern oder Metaphern übernehmen. Dabei ist der User befähigt, je nachdem wie er das Zeichen einsetzt, ein Emoji ikonisch, indexikalisch oder symbolisch zu verwenden. Um den mit Emojis einhergehende Zeichenprozess zu analysieren, entstand ein Modell (die semiotischen Würfel), das auf der Peirce’schen Zeichentheorie beruht.
Beim Analysieren eines Zeichens durch die semiotischen Würfel kann systematisch vorgegangen werden. So wird eine umfassende und vergleichende Betrachtung der Zeichen, des Zeichenprozesses und der Semiotizität ermöglicht. Zudem berücksichtigt das Modell die hohe Kontextsensitivität der Emojis, welche starke Auswirkungen auf deren Zeichenhaftigkeit hat. Die Semiotizität von Emojis hängt von ihrem Gebrauch in der Nachricht ab. Ein und dasselbe Emoji kann je nach Verwendungszweck in unterschiedliche Peirce’sche Zeichenklassen eingeteilt werden. Die Einteilung der Zeichen in Zeichenklassen ist hilfreich, um den Kommunikations- und Vermittlungsprozess zu analysieren. Die differenziertere Einteilung der Zeichen in Subklassen – die sich wiederum in die bestehenden zehn Peirce’schen Zeichenklassen als Unterklassen einordnen lassen – ermöglicht weitere, für Kommunikation und zwischenmenschliche Beziehungen wichtige Faktoren zu berücksichtigen. Die Fallstudie in Kombination mit dem semiotischen Modell ermöglicht, die Intentionen der Emojiverwendung herauszukristallisieren und den Vermittlungsprozess, der mit einem Emoji entsteht, zu betrachten. Die Analyse weitet das formale und abstrakte Theoriekonstrukt in Richtung des angewandten Zeichengebrauchs aus. Die Ausarbeitung zu einem praxisorientierten Modell kann als Kritik an der bisherigen, auf der Peirce’schen Semiotik beruhenden Forschung angesehen werden. Das Analysemodell lässt sich auf jeglichen Zeichenprozess anwenden, um den Vermittlungsprozess eines Zeichens zu analysieren. Es ist nicht beschränkt auf die Emojikommunikation. Ein Nachteil des Modells ist, dass es ein komplexes und langwieriges Verfahren darstellt, um Zeichen zu klassifizieren. Auch ist häufig nicht ganz eindeutig, zu welcher Zeichenklasse ein Zeichen gehört, da sich die verschiedenen Stufen des Modells überschneiden. Die Einteilung selbst ist oft ein Prozess, bei dem verschiedene Lösungswege abgewogen werden müssen. Im Fall von Emoji-Nachrichten eignet sich die semiotische Methode nach Peirce trotzdem gut, um den Zeichenprozess und die damit einhergehende Zeichenhaftigkeit der Emojis zu untersuchen und zu vergleichen. Sie ermöglicht, den durch das Zeichen entstandenen Zeichenprozess in seine Bestandteile zu zerlegen und mikroskopisch zu betrachten. Das Modell spiegelt die Komplexität und die Überschneidungen der unterschiedlichen Mechanismen eines Zeichenprozesses wieder.
Die Betrachtung mittels semiotischer, formalästhetischer und bildtheoretischer Konzepte in einem zweiten Teil der Analyse erläutert den Einfluss der Form auf die Wirkung und damit den Inhalt der Zeichen. Der Frage nach unmittelbarer Bildverständlichkeit wird bildtheoretisch und auf semiotischer Grundlage nachgegangen. Es kann festgehalten werden, dass bei Emojis aufgrund der im Mittel inkludierten kognitiven Typen eine Art unmittelbare Verständlichkeit generiert wird, indem im Objektbezug das Mittel auf ikonischer Ebene mit einem Objekt in Verbindung gebracht wird. Ein solcher Einschluss von ikonischen Typen führt nach Peirce zu einem ›exhibitive import‹ von Zeichen. Damit sind Emojis im Gegensatz zur Standardsprache fähig, mit nur einem Zeichen einen ganzen Satz zu kommunizieren, eine Stimmung oder ein virtuelles Gegenüber zu erzeugen. Aufgrund ihrer Polyfunktionalität können Emojis gegenüber schriftlichen Zeichen bevorzugt werden. Die formalen Untersuchungen zeigen, dass die Ästhetik von Emojis darauf ausgelegt ist, eine ›unschuldige‹ und positive Stimmung zu erzeugen. Darstellungsweisen wie die Frontalansicht und der richtige Grad des Überschreitens der ikonischen Schwelle bieten dem User eine optimale Identifikation mit dem visuellen Gegenüber.
Indem sich das Mittel selbst in seiner Repräsentation vermittelt, weist ein Emoji – im Sinne der Autonomiethese – eine starke Autonomie zum Objekt des Zeichens auf. Eine solche Autonomie wird als Koexistenz bezeichnet. Sie kann Auswirkungen auf die Wahrnehmung der gesamten Kommunikation haben. Eine Koexistenz bringt eine eigene Ästhetik mit sich, welche sich im Fall von Emojis auf jegliche Lebensbereiche erstreckt. Indem die Form eine Koexistenz bildet, kann diese zum Inhalt werden. Sie ist imstande, die Interpretation des Zeichens zu beeinflussen, indem sie die Wirkung modifiziert, die rein durch die ästhetische Manifestation entsteht. Umso weiter ein Emoji die ikonische Kategorisierungsschwelle überschreitet, desto autonomer und koexistenter wird es und desto stärker kann die Form zum Inhalt werden. Die grafische Ausarbeitung des semiotischen Würfelmodells verdeutlicht die enge Verschränkung der wissenschaftlich-theoretischen mit der gestalterischen Auseinandersetzung. Die Gestaltung des Buches und damit die Vereinigung der praktischen und theoretischen Arbeit unterstützt, die These der korrelativen Beziehung von Form und Inhalt.